Prävention häuslicher Gewalt
Was ich tun kann, um dem Aufkeimen von Gewalt in meinem Haus vorzubeugen
Häusliche Gewalt ist ein tiefes Thema, das uns vermutlich alle betrifft! Denn Gewalt beginnt ja nicht erst bei verbaler Erniedrigung oder mit Schlägen. Und es gibt wohl kein Elternteil, das nicht an irgendeiner Stelle einmal die Geduld verliert und laut oder grob wird mit seinem Kind oder mit seinem Partner, seiner Partnerin.
Auch ich bin in dieser Hinsicht nicht heilig. Ich erinnere da etwa jenen dunklen, kalten Novemberabend, als mein damals vierjähriger Sohn partout nicht aus dem Auto steigen wollte. Ich war erschöpft und hungrig und entsprechend ungeduldig. Zuvor waren wir mit seiner kleinen, quirlig-lebendigen Freundin spielen, und da wurde bereits viel Geduld von mir abverlangt. Als nach drei Minuten „Wir gehen jetzt rein!“ immer noch nichts passierte, wurde ich richtig wütend. Laut befahl ich: „Jetzt kommst du aber mit, es reicht mir jetzt!“ und zerrte den Kleinen grob aus dem Auto hinein ins Haus. Mein Verhalten in dieser Situation entspricht nicht dem Bild, wie ich mit meinem Kind sein mag. Eigentlich sind mir Vertrauen und eine respektvolle Mutter-Kind-Beziehung super wichtig.
Kennst du, kennen Sie solche Situationen auch? Was passiert hier?
Als mein Sohn dann endlich schlief, setzte ich mich mit einem Tee vor den knisternden Ofen und schaute mir an, was mit mir geschehen war.
Meine Erfahrung mit mir selbst und anderen lehrt mich immer wieder, dass uns Situationen, in denen irgendein Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt, wichtige Gefühle und (unerfüllte) Bedürfnisse aus der eigenen Kindheit zeigen, die schon lange drauf warten, erlöst zu werden.
Für diese Fälle kenne ich eine sehr wertvolle Übung, die mich durch meinen inneren Prozess leitet. Einige Fragen aus dieser Übung will ich im Folgenden mit euch gemeinsam erforschen.
Warum habe ich (an jenem Novemberabend) meine Gelassenheit verloren? Als ich mir diese Frage stellte, erkannte ich, dass es wohl der Gedanke „Ich werde nicht gehört“ ist, der mich so aggressiv werden ließ. Und weil mein Bedürfnis nach Gehört werden unerfüllt blieb, wurde in mir das Gefühl rasender Wut ausgelöst.
Was sagte ich inmitten jener Situation zu mir selbst?: „So ein Scheiss! Ich bin hier ganz alleine mit diesem Kind. Ich bin erschöpft, habe heute so viel Gutes gegeben – jetzt kann ich nicht mehr! Wer ist eigentlich für mich da?“
In der Rückschau vor dem Ofen fühlte ich plötzlich tiefe Trauer und Schmerz über den Abbruch der Partnerschaft mit dem Vater meines Kindes sowie über dieses Alleinerziehenden-Dasein, das mich an einigen Stellen so überfordert. Ich wusste, dass dieser Schmerz jetzt sein darf. Ich weinte eine Weile und hielt mich selbst liebevoll umarmt. Ja, diese Umstände sind megatraurig – das durfte ich jetzt fühlen.
Der Anteil in mir, der mich selbst durch diesen Prozess leitete, fragte dann, wie alt ich wohl gerade bin – durch welchen Filter schaut die emotional getriggerte Ute in die Welt? Die Antwort kam intuitiv: „Ich bin selbst vier Jahre alt, und was ich brauche, wird einfach nicht gehört. Ich bin völlig verzweifelt!“
Die nächste Frage, die ich mir nach einer Weile stellte, lautet: „Wenn alles möglich wäre: Was brauche ich?“ Die intuitive Antwort: Ich brauche jetzt jemanden, der in meinem Rücken steht, der mich hält, wenn ich erschöpft bin. Jemanden der mich wertschätzt und mit mir die vielen gelungenen Momente feiert, die viele Geduld, die ich heute mit den Kindern hatte. Ich bräuchte es, mich an eine erwachsene Person anlehnen zu können, einfach da sein und auftanken zu dürfen.
– Wow, das ist es! Freude, Hoffnung und Vertrauen zogen mit dieser Erkenntnis in mein Inneres ein. Noch vor dem Ofen beschloss ich, mir am Ende jener herausfordernden Woche eine Massage zu gönnen und den Kontakt zu meiner besten Freundin noch öfter zu pflegen. Denn ich brauche diesen Raum mit ihr, um Luft abzulassen, um Ärger, Trauer und alles, was sich so anstaut, gegenüber einem Erwachsenen auszusprechen und dabei mitgefühlt zu werden. Bei meiner Freundin bekomme ich Rückenstärkung und einen sicheren Hafen – um dann in dieser Qualität wieder für mein Kind da sein zu können. Oh ja, mit dieser Aussicht ging es mir gleich deutlich besser. Ich streichelte meinem schlafenden Sohn über den Kopf. Ich fühlte so viel Liebe für ihn, das ließ noch einmal ein paar Tränen kullern – Tränen der Liebe. Mein Herz war nun wieder weich und weit – wie schön!
Am nächsten Morgen sagte ich meinem Sohn beim Frühstück, dass es nicht okay von mir war, so laut und grob zu werden. Dass ich es bedaure, keine Kraft und keine Geduld mehr gehabt zu haben.
Wir Erwachsenen können jederzeit „reparieren“. Das bedeutet, unseren Kindern (bzw. Partnern) gegenüber unser Bedauern auszudrücken für eigenes Verhalten, das nicht okay war.
Und: Es ist so wichtig, gut für uns als Erwachsene zu sorgen und wirklich etwas an den Mustern zu verändern, damit sie nicht zu wiederkehrenden Dynamiken werden, mit denen wir uns allen schaden!
Die Innenschau mit dieser Übung hilft mir, in ähnlichen Situationen immer gelassener bleiben zu können. Sie hat mich im Inneren wachsen lassen und alte Wunden versorgt. Sie hat meine Liebesfähigkeit gestärkt. Das fühlt sich gut an! Ich erlebe Selbstwirksamkeit.
Da ich mich selbst und andere schon ziemlich lange in derartigen Prozessen begleite, fällt es mir leicht, mich selbst durch solche Übungen zu führen. In der Regel ist es zu Beginn jedoch hilfreich, sich von anderen führen zu lassen – zum Beispiel im Rahmen einer Elterncoaching-Sitzung oder auch in den von mir angeleiteten Kursen.

