Sicherer Hafen sein

Über Wärme und Geborgenheit

Immer deutlicher wird die Forschung zum Thema Bindung in der Kindheit. Aus tiefer Abhängigkeit erwächst Unabhängigkeit. Die Kleinen brauchen uns Grosse als verlässliche liebevolle Bezugsperson um all die so wertvollen Reifeschritte zu vollziehen, die das in uns Menschen angelegte enorme Potential voll zur Entfaltung bringen.

Nach aufregenden Abenteuern auf hoher See kehren Schiffe in sichere Häfen zurück. Hier können die Seeleute auftanken und Ruhe finden. Das ist ein schönes Bild für das, was die Beziehung zu unseren Kindern im besten Falle bieten kann. In der Bindungsbeziehung können die Kleinen zur Ruhe kommen. Kleine Kinder wechseln sehr häufig am Tag: ein Stück raus aus dem Hafen und wieder rein, um den Bindungstank (und auch den Orientierungstank) zu füllen. Bei älteren Kindern wird die Einkehr in den sicheren Hafen immer seltener. Wir unterschätzen daher oftmals, wie wichtig dieser Hafen, diese Bindung zu uns auch für die 7, 10 und 15-Jährigen ist. Ja Bindung ist wie ein Schutzzauber, der uns von Kindheit an durchs gesamte Leben begleitet.

Im Hafen können unsere Kinder von den aufregenden Abenteuern da draussen erzählen – und vielleicht auch ein paar Tränen verlieren, wenn es da Dinge gab, die traurig gemacht haben. Der fünfjährige Ben berichtet etwa aufgelöst von der Kita: „Immer wieder hat Max mir meinen Lieblingsroller weggenommen, und die Erzieherin hat nichts gemacht.“ Darauf die Mutter einfühlsam: „Das hat dich traurig gemacht?“ Und Ben aufatmend: „Ja, das war voll scheisse!“ Wir Großen sind da und hören mit ganzem Herzen zu. Auch wenn es uns schwerfallen mag, lassen wir mal für einen Moment alles andere stehen und liegen. Es braucht dabei nicht viele Worte; mehr geht es darum, einen Raum zu geben für die kindlichen Bedürfnisse und Gefühle: vielleicht ein bisschen ankuscheln, ein Stück Obst und eine warme Milch. Wir schauen, dass wir kein Drama aus dem Gehörten machen und es aber auch nicht wegwischen mit rationalen Beschwichtigungen wie „Ist doch nicht so schlimm, zu Hause hast du deinen eigenen Roller“. Der Fokus liegt auf der Anerkennung der Gefühle.

Bitte nehmt es nicht persönlich, wenn eure Kinder beim Andocken zuhause ein bisschen motzig sind und so etwas wie „blöde Mama“ sagen! Sie brauchen unsere Unterstützung – unsere Gelassenheit – bei dem Versuch, den auf hoher See angesammelten Stress loszuwerden.

Zuhause können sie im besten Falle loslassen und sich erlauben, Gefühle zu zeigen, die sie sich ohne uns, die sicheren Hafenpersonen, nicht auszudrücken trauen. Das ist so wertvoll für das Wirklich-zur-Ruhe-Kommen und Im-Herzen-Weichbleiben der Kinder!

Ja, Kinder sind hinsichtlich ihrer körperlichen und auch emotionalen Bedürfnisse tatsächlich permanent von uns abhängig. Ihr Gehirn kann sich erst mit etwa 18 Jahren – neueste Forschungen sprechen sogar von 24 Jahren – selbst regulieren. Das bedeutet: Wenn Kinder oder Jugendliche emotional aufgeregt sind, brauchen sie unser entspanntes Nervensystem, um ihre Gefühle zu beruhigen. So ist es gemeint von der Natur, und nur so reifen unsere Kinder zu unabhängigen sozialen Wesen heran, die für sich und andere Verantwortung nehmen können.

Leider haben wir Erwachsenen diese Erfahrung des Reguliert-Werdens als Kinder oftmals selbst nicht machen dürfen. Häufig wurden andere Werte verfolgt in der Erziehung, wie zum Beispiel schnell selbständig werden, von klein auf sozial sein sollen – obwohl dies die kindliche Gehirnreife noch gar nicht zu lässt.

Das steht uns dann heute im Weg bei der Herausforderung, mit unseren Partnern und Kindern ruhig und gelassen zu bleiben und feinfühlig auf Bedürfnisse anderer zu reagieren. Hier brauchen wir in der Regel Unterstützung, um eine liebevolle Beziehung zu uns selbst – und zu unserem alten in uns gespeicherten Schmerz – aufzubauen. Es ist jederzeit möglich Reife nach zu holen und damit innerlich weiter zu wachsen. Das bedeutet gelassener zu werden in herausfordernden Situationen, mehr Liebe und Verbundenheit zu spüren zu den eigenen Kindern und vieles andere mehr.

Grösste Quelle meines Wissens und immer wieder Inspiration:
Transparents.net bietet viele wertvolle Informationen und Online-Kurse

Literaturtipps:
1.) D. Macnamarra: Vertrauen, Spielen, Wachsen. Kinder unter 7 verstehen (und alle, die sich so benehmen) – Auf der Grundlage des beziehungsbasierten Entwicklungsansatzes von Gordon Neufeld- 2017

2.) Dr. Gordon Neufeld und Dr. Gabor Maté: Unsere Kinder brauchen uns- Wie Eltern sich ihre Rolle zurück erobern. Neuauflage 2022